Dieser Bericht aus dem Norden Taiwans wurde vor mehr als 200 Jahren von Yu Yung-ho(郁永河)geschrieben. Er war vom chinesischen Festland gekommen, um in Taiwan eine Schwefelmine zu betreiben. Seine Worte veranschaulichen das Gefühl der Hilflosigkeit, das ihn angesichts der Gesundheits- und Hygienebedingungen jener Zeit befiel, als er mit ansehen mußte, wie seine Arbeiter einer nach dem anderen krank wurden.
Es gibt nur wenige historische Dokumente zum Thema der allgemeinen Gesundheit in Taiwan für die Zeit vor der fünf Jahrzehnte währenden Fremdherrschaft der Japaner über die Insel in den Jahren 1895 bis 1945. Als die Japaner Taiwan angriffen, herrschten dort noch sehr ungesunde Lebensbedingungen. Den japanischen Aufzeichnungen zufolge wurden in der Schlacht um die Insel nur 515 Menschen verletzt und 164 getötet, 26 094 wurden jedoch krank und 4642 starben an Krankheiten. Weil eine so hohe Zahl von Soldaten und Arbeitern Krankheiten anheimfielen, richteten die japanischen Behörden bald ein Gesundheitsamt in Taiwan ein, das dem vizeköniglichen Sekretariat unterstellt war.
Bald darauf wandte die Besatzungsregierung sich an Japan mit der Bitte um medizinisches Personal, das in dem neugebauten Krankenhaus in Taiwan eingesetzt werden sollte. In Verbindung mit dem Krankenhaus richteten japanische Ärzte auch ein Ausbildungszentrum für chinesische Ärzte ein. Bis zum Jahr 1899 hatten die Japaner die erste Schule für Medizin in Taiwan errichtet, die Vizekönigliche Medizinische Akademie, in die das Ausbildungszentrum eingegliedert war.
Die Besatzungsregierung wurde mit greifbaren Resultaten ihrer Gesundheitspolitik belohnt. Einer japanischen Quelle zufolge sank die Sterberate bei auf Taiwan stationierten japanischen Soldaten bis zum Jahr 1902 auf 1,5%. Auch die Gesundheitssituation der einheimischen Chinesen konnte entscheidend verbessert werden. 1906 lag die Sterberate in Taiwan bei 3,4% der Bevölkerung, konnte aber bis zum Jahr 1940 auf 2,0% gesenkt werden. Der fallenden Sterberate entsprechend stieg die durchschnittliche Lebenserwartung im gleichen Zeitraum von 29 auf 42 Jahre für Männer und von 30 auf 47 Jahre für Frauen.
Ein weiterer wesentlicher Schritt bei dem Aufbau einer Infrastruktur für die medizinische Versorgung der breiten Öffentlichkeit war die Gründung der der Kaiserlichen Taiwan-Universität angegliederten Abteilung für Medizin (die nach dem Zweiten Weltkrieg zum Krankenhaus der Nationalen Taiwan-Universität wurde). Insgesamt 2800 Ärzte wurden in dem Zeitraum von 1899 bis 1945 in Taiwan ausgebildet.
Die meisten medizinischen Einrichtungen wurden im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt oder gar zerstört, und es grassierten bei Kriegsende auf der ganzen Insel ansteckende Krankheiten. Als die Regierung der Republik China 1945 die Regierungsgewalt übernahm, war eine ihrer Hauptaufgaben - neben dem Wiederaufbau öffentlicher Krankenhäuser - der Kampf gegen Epidemien wie Malaria Pocken, Cholera und Beulenpest.
Die Regierung begann sofort damit, zur Unterstützung der Verwaltung in den Gemeinden Gesundheitsämter in einzelnen Ortschaften einzurichten. Fünfzehn solcher Ämter gab es bereits im Jahre 1945, und in jedem Jahr kamen weitere hinzu. Bis 1954 konnte mit Hilfe der Vereinigten Komission zum Wiederaufbau ländlicher Gegenden (Joint Comission on Rural Reconstruction, JCRR) in jeder Stadt und jeder Gemeinde ein Gesundheitsamt eingerichtet werden. Pest und Cholera wurden rasch und endgültig ausgelöscht, und auch die Pocken wurden relativ schnell unter Kontrolle gebracht. Der Malaria-Moskito jedoch stellte die Behörden vor größere Probleme.
Als Reaktion auf die ernste Bedrohung durch Malaria, die Krankheit, die in der Zeit der japanischen Besatzung die meisten Opfer gefordert hatte, gründete die Regierung 1948 ein Malaria-Forschungsinstitut, das dabei helfen sollte, die Krankheit auszulöschen. 1945 hatte Taiwan eine Bevölkerung von sechs Millionen, und als die Epidemie auf ihrem Höhepunkt angelangt war, waren 15% der Bevölkerung infiziert!
Eine langfristig angelegte Anti-Malaria-Kampagne begann. Man folgte einer Drei-Stufen-Strategie: Vorbereitung, Angriff und Ausrottung, und 1965 schließlich wurde Taiwan von der UN-Weltgesundheitsorganisation zum malaria-freien Gebiet erklärt. Der Schlüssel zur Ausrottung der Malaria war eine großangelegte Sprühaktion unter Einsatz von DDT, mit dem die Nester der Moskitos vernichtet wurden. Nach 1966 wurden keine neuen Fälle von Malaria mehr auf Taiwan gemeldet, und nur noch ganz vereinzelt wurde die Krankheit aus dem Ausland eingeschleppt.
Der Kampf gegen Malaria veranschaulicht den Erfolg, den die Regierung beim Kampf gegen ansteckende Krankheiten erringen kann, ein anderer Fall illustriert jedoch auch ihre Machtlosigkeit - der Kampf gegen Tuberkulose. Obwohl diese chronische und ansteckende Krankheit sich jahrelang hartnäckig als eine der häufigsten Todesursachen in Taiwan behauptete, begannen Vorsorgeprogramme erst in den fünfziger Jahren zu greifen. Je mehr die Präventivmaßnahmen an Stoßkraft gewannen, desto stärker fiel die Sterberate, 1960 gehörte TB allerdings immer noch zu den 10 häufigsten Todesursachen in Taiwan. 1967 verstärkte die Regierung ihre Kampagne und richtete Taiwans Provinzbüro zur Tuberkulose-Vorsorge ein. Ungünstigerweise erwies sich TB als ein zäher Gegner, und erst in den frühen achtziger Jahren konnte die Krankheit aus der Liste der zehn führenden Todesursachen verdrängt werden.
In den fünfziger Jahren, in denen die Regierung sich noch der Bekämpfung von Malaria und TB widmete, wurde auch mit der Gesundheitsvorsorge für Frauen und Kinder begonnen. Mit Hilfe von UNICEF und WHO richtete die Regierung 1959 das Gesundheitsinstitut für Mutter und Kind der Provinz Taiwan ein, dessen vorrangiges Ziel es war, die Ernährungssituation zu verbessern. Gleichzeitig gründete man die Berufsschule für Krankenschwestern und Hebammen in Taichung, in der Krankenpfleger ausgebildet wurden, die dann in entlegenen Gegenden zum Einsatz kommen und die dortige Personalknappheit beheben sollten. Diese Anstrengungen halfen bei der Verbesserung der allgemeinen Gesundheitssituation von Müttern und Kindern. Noch in den frühen fünfziger Jahren stand für 40% der Geburten kein in Geburtshilfe geschultes Personal zur Verfügung; diese Zahl wurde in der Folgezeit rasch reduziert.
Verbesserungen der allgemeinen Gesundheitsversorgung brachten aber auch neue Herausforderungen mit sich. Die Sterberate sank bis zum Anfang der fünfziger Jahre stark ab, die Geburtenrate stieg jedoch auf 3,5% an. Dies hatte zur Folge, daß einige Leute in weiser Vorraussicht eine Bevölkerungsexplosion mit allen negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft zu befürchten begannen. Diese Besorgnis gab den Anstoß zu einem Familienplanungs-Programm.
Da die Gesellschaft Taiwans sehr konservativ war, konnte Familienplanung eher durch eine Anzahl privater Organisationen denn durch öffentliche Ämter angegangen werden. Dennoch wurde 1960 mit einer breit angelegten Kampagne zur sexuellen Aufklärung begonnen. Man kann darüber streiten, welchen Beitrag die Familienplanungspolitik tatsächlich zu der Senkung der Geburtenrate leistete, denn gleichzeitig kamen soziale Veränderungen wie Verstädterung und die Aufsplitterung der Großfamilien zum Tragen; Tatsache ist jedenfalls, daß die Geburtenrate in Taiwan in den sechziger Jahren stetig zu fallen begann.
In den siebziger Jahren verbesserte die Regierung die Infrastruktur im Gesundheitsbereich. Das direkt dem Exekutiv-Yüan unterstehende Gesundheitsamt wurde 1971 gegründet, und 1978 eine Unterabteilung, die Abteilung für Ernährung und Medikamente, geschaffen. 1972 richtete man die Umwelt-Hygiene-Abteilung ein, die später zum Umweltschutzbüro ausgebaut wurde (und 1987 nochmals eine Aufwertung erfuhr, als man das Büro zur "Umweltschutzverwaltung" machte).
In den achtziger Jahren war man in Taiwan von neuem gezwungen, sich der Vorsorge gegen Epidemien zu widmen. Die Menschen meinten, die Ausrottung von Malaria mehr als zwanzig Jahre zuvor sei gleichbedeutend mit der völligen Ausrottung aller Seuchen gewesen. Man verringerte nachlässig die Schutzmaßnahmen. Schon lange waren die Gelder, die der Seuchenvorsorge zur Verfügung gestellt wurden, unzureichend gewesen. Eine Kinderlähmungsepidemie im Jahre 1982 - bei der 1000 Fälle gemeldet wurden - entblößte die Mängel in Taiwans Impf-System. Auch Fälle von Denguefieber begannen 1981 aufzutauchen.
Wegen dieser Epidemien erweiterte die Regierung ihr Fortbildungsprogramm für Spezialisten für ansteckende Krankheiten und erhöhte das Budget für das zum Gesundheitsamt gehörende Institut für Vorbeugende Medizin und den Nationalen Quarantäne-Dienst. Man wandte sich mit größerer Aufmerksamkeit chronischen ansteckenden Krankheiten wie TB und Hepatitis B zu. Die Bemühungen, diese Krankheiten in den Griff zu bekommen, sind noch immer in vollem Gange. Hepatitis B ist besonders in Asien weitverbreitet, und Taiwan hat die höchste Rate an Krankheitsträgern in der Welt: 15 bis 20% der Bevölkerung, mit anderen Worten etwa drei Millionen Menschen.
Da immer mehr Menschen von Taiwan nach Südostasien und auf das chinesische Festland reisen, sind etliche übertragbare Krankheiten, wie zum Beispiel die Japanische Gehirnentzündung, nach Taiwan eingeschleppt worden. Wie schnell solch eine Krankheit sich ausbreiten kann, hat die Denguefieber-Epidemie Ende 1987 bis 1988 gezeigt. Mehr als 10 000 Menschen, hauptsächlich im Süden Taiwans, waren mit dieser Krankheit, die durch Moskitos auf Menschen übertragen wird, infiziert, bevor die Gefahr schließlich eingedämmt werden konnte.
Bis zum Jahr 2000, so das Ziel beim Kampf gegen die Seuchen, will man in Taiwan Kinderlähmung, Masern, Röteln und Tetanus ausgerottet haben. Vorbeugung wird hierbei als Schlüssel zum Erfolg angesehen. Jetzt, da die meisten übertragbaren Krankheiten der Vergangenheit unter Kontrolle gebracht sind, sind es nicht-ansteckende Krankheiten, wie Gefäßkrankheiten und bösartige Tumore, die die Liste der Todesursachen anführen.
Jüngste Entwicklungen: das zunehmende Altern der Bevölkerung, bedingt durch höhere Lebenserwartung und sinkende Geburtenraten, stellt die Gesundheitspolitiker vor völlig neue Aufgaben.
Trotz all dieser nach wie vor bestehenden Probleme wird die Gesundheitssituation der Allgemeinheit in Taiwan ständig verbessert. 70% der Sterbefälle in Taiwan sind heutzutage auf chronische Krankheiten zurückzuführen, und die ansteckenden Krankheiten rangieren derzeit nicht unter den 16 häufigsten Todesursachen. Dies wiederum ist in erster Linie auf eine dramatische Reduzierung der Fälle von TB zurückzuführen. Sanatorien, in denen früher TB-Patienten untergebracht waren, sind mittlerweile in Pflegeheime für Patienten mit chronischen Krankheiten umfunktioniert worden; demzufolge stehen jetzt natürlich mehr Einrichtungen für die medizinische Versorgung der breiten Bevölkerung zur Verfügung. Dennoch ist TB weiterhin die Ursache von 2,7% der Sterbefälle bei älteren Mitbürgern. Im Jahre 1988 war TB auf Platz elf der häufigsten Todesursachen bei älteren Menschen.
Die Regierung ist gegenwärtig dabei, ein System für die Altenpflege in Heimen zu entwickeln, um so der steigenden Zahl von Senioren in diesem Lande Rechnung zu tragen. 1947 waren nur 2,5%, 1989 aber schon 5,8% der Bevölkerung älter als 65 Jahre. In den Krankenhäusern werden jedoch in erster Linie Patienten mit chronischen Krankheiten versorgt, und Einrichtungen für die Pflege alter Menschen fehlen bislang. Abgesehen davon hat man in der Republik China bislang auch der Geriatrie zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Es muß also in der Gesundheitspolitik das Gewicht von der Vorbeugung gegen akute auf die gegen chronische Krankheiten verschoben werden, und was die Infrastruktur anbetrifft, so ist es vorrangig, langfristig zu planen und Einrichtungen zur medizinischen Versorgung in einzelnen Gemeinden einzurichten.
Das stetige Anwachsen des Anteils der Senioren an der Gesamtbevölkerung, gekoppelt mit einer sinkenden Geburtenrate, hat wiederum Anlaß zur Sorge um ein bevorstehendes Ungleichgewicht gegeben. Früher wurden junge Paare dazu ermutigt, nur ein oder zwei Kinder zu haben. Seit 1990 jedoch hat die Regierung ihre Familienplanungspolitik geändert, um ein langsames Anwachsen der Geburtenrate zu initiieren. Da man einsah, daß die Geburtenrate auf einem angemessenen Level gehalten werden muß, wurde der zweite Teil des alten Familienplanungs-Slogans "Zwei sind genau richtig - aber nur eines ist nicht zu wenig" gestrichen.
Die Gesundheitsbehörden konzentrieren sich bei ihren Bemühungen derzeit in erster Linie auf eine Reihe von "Zivilisationskrankheiten", wie Bluthochdruck, Krankheiten, die vom Rauchen kommen, und Unfälle mit Todesfolge. Bislang hält sich der Erfolg in Grenzen. Dies liegt unter anderem daran, daß man weniger effektiv handeln kann, je mehr Regierungsstellen beteiligt sind. Zum Beispiel fallen Verkehr und Straßenbau in den Zuständigkeitsbereich sowohl des Gesundheitsamtes als auch des Verkehrsministeriums. Außerdem muß sich das Gesundheitsamt überprüfbare Ziele stecken, seine Slogans zu Gesundheit und Hygiene dürfen nicht nur hohle Phrasen bleiben, und man muß den Worten auch Taten folgen lassen.
Die Gesundheit der Allgemeinheit in Taiwan hat sich in den Tagen, seit Yu Yung-ho in den Schwefelminen auf Taiwan arbeitete, gewaltig verbessert. Heute gibt es ganz andere Kategorien von Problemen. Abgesehen von der Notwendigkeit, alte Geißeln der Menschheit wie TB und Denguefieber zu vernichten, muß die Regierung Programme für eine ganze Reihe neuer Gesundheitsprobleme entwickeln, die von AIDS über Bluthochdruck bis hin zur Altenpflege reichen. Wie auch in allen anderen Teilen der Welt zeichnet sich für Taiwan eine kostspielige Zukunft bei der Weiterentwicklung eines umfassenden Gesundheitssystems ab.
(Deutsch von Rina Goldenberg)